“Genuine Trust“ – Warum „fühlen“ nichts taugt für unsere Veränderung
Haben Sie sich noch nie gefragt, wie es kommen konnte, dass Sie zu Beginn Ihres Leben Fähigkeiten erwarben, für die Sie KEINE Anleitung und keinen Intellekt brauchten? Warum Ihnen Schlucken, Kauen, Sitzen, Stehen, Gehen gelang, ohne dass Sie darüber nachdachten? Aber Sie sich später im Leben darum bemühten, zu verstehen, wie “richtig sitzen” geht? Und Sie plötzlich kein Vertrauen mehr dahinein hatten, dass vieles in unserem Organismus sich selbst organisiert.
- M. Alexander (1869-1955) war Schauspieler und Solo-Rezitator im 19. Jh. in Australien. Er sah sich dem karriereschädigenden Problem gegenüber, dass seine Stimme unter seiner Art zu sprechen derartig litt, dass er Vorstellungen beinahe abbrechen mußte. Auf einem langen Weg von ergebnisloser Beratung und forschender Selbstbeobachtung gelang es ihm, das Problem zu lösen. Und dabei gleich etwas zu entdecken, das einen großen Beitrag zur Gesundheit der Menschen leisten kann.
Was das mit Selbstheilung und Gesundheit im Betrieb zu tun hat, mögen Sie fragen? Das werde ich in diesem Beitrag darstellen.
ÜBERLEGUNG EINS von Alexander war – nach zahlreichen fruchtlosen Empfehlungen zur Therapie, dass er wohl etwas mit sich selbst machen müsse, das zu seinen Problemen führt. Am Ende seiner langen Forschungen nannte er das den “Gebrauch des Selbst”. Das ist ein geradezu abenteuerliche Annahme. Denn es bedeutet, Verantwortung für das eigene Tun, den Umgang mit dem eigenen Körper, aber auch dem eigenen Denken zu übernehmen. Ein Thema, das auch heute, 120 Jahre später, durchaus aktuell ist. Wenn Menschen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit krank werden, geht häufig die Selbstverantwortung bis zur Vereinbarung von Arztterminen und zur regelmäßigen Einnahme von Tabletten. Vielleicht klappt auch noch der Besuch von Sportstudio oder Yogastunden eine Weile ganz gut. Und, ja ich weiß, viele sagen dann: seit ich XYZ mache, geht es (z.B.) meinem Rücken besser. Wohin die Selbstverantwortung nicht reicht, ist die Betrachtung der Frage, WIE die Probleme zustande gekommen sind und welchen Beitrag die Person selbst – in Form von ungünstigen Gewohnheiten (z.B. beim Sitzen) – dazu geleistet hat.
Warum ist das so? Wir alle unterliegen von Beginn unseres Lebens an Einflüssen von Vorbildern und Erziehung. Und machen als Kinder erst mal nach, was wir sehen – auch und vor allem schlechte Haltung. Und unser Denken imitiert auch, was es vorgesagt bekommt. Diese Einflüsse heißen dann: “Du mußt Dich anstrengen”, “Du mußt Dich beeilen”, “das mußt Du richtig machen” und so viele andere. Dies inhalieren wir derart intensiv, dass wir in späteren Jahren zu der Annahme gelangen, wir wüßten, wie es richtig geht. Wie “richtig sitzen” geht. Wie “grade Haltung” geht. Was wir tun müssen, um gelassen zu sein. Dabei hat Gelassenheit ganz viel mit “lassen” zu tun, insbesondere mit “weglassen”. Dafür wiederum braucht es ein Mindset, das nicht in Kategorien von richtig/falsch denkt. Wir treffen hier auf den Begriff der Selbstwirksamkeit und der Selbstwirksamkeitserwartung.
Und sind somit bei Alexanders ZWEITER ÜBERLEGUNG: der Mensch ist von Natur aus gut gemacht. Der Organismus ist gut gemacht für ungestörte, unaufwendige Bewegung. D.h. ohne übermäßige oder überflüssige Muskelanspannung, ohne verspannte Schultern, krummer Rücken oder ähnliches. Er ist auch gut gemacht für das Erleben von Emotionen. Wir bekommen die Fähigkeit dafür und eine Durchlässigkeit für Emotionen mitgegeben ins Leben. Und darin steckt unsere Selbstwirksamkeitserwartung. Als kleine Kinder sind wir davon überzeugt, dass wir schaffen können, was wir vorhaben. Besonders gut ist das zu sehen beim Erwerb von Bewegungsfähigkeiten: Robben, Krabbeln, Sitzen, Stehen, Gehen. Kinder fragen sich nie, ob sie das schaffen werden. Ihr Gehirn – und Mindset – ist darauf ausgerichtet, dass es klappen wird und das einzige, was im Weg stehen könnte, ist die Annahme, wie es richtig zu gehen hat. Aber die kennt das Kind nicht. Und also funktioniert es.
Und damit begegnen wir Alexanders DRITTER ÜBERLEGUNG: sein Konzept von “Genuine Trust”.
Alexander hatte bei seinen Erkundungen an sich selbst folgendes herausgefunden: Wenn er sprach/reziterte, zog er den Kopf nach hinten und unten in den Nacken, drückte auf den Kehlkopf und spannte seinen Rücken an, was zu dessen Verkürzung führte – wie er in seinen Spiegeln, vor denen er stand, sehen konnte. Da das zu Problemen führte, dachte er sich, dass es wohl falsch sei und das Gegenteil doch richtig sein könnte. Also versuchte er, seinen Kopf nach “vorne und oben” zu bringen. Mit dem entsprechenden Mindset, das ich oben beschrieben habe: ich muß mich bemühen, es richtig zu machen… Mit fatalen Ergebnissen für seine Haltung und seinen Selbstwert, sprich er war frustriert. Weil er so sehr daran geglaubt hatte, dass er es richtig machte und dass sich das für ihn auch richtig anfühlte. Er mußte beim Blick in den Spiegel enttäuscht feststellen, dass sein Kopf überhaupt nicht dorthin gerichtet war, wo er dachte. Er stellte also fest, dass sein “Fühlen” (also: wie fühlen sich meine Muskeln an? Wie fühlt sich mein Körper an? Aber auch: wie fühle ich mich emotional dabei?) völlig unzuverlässig von ihm eingeschätzt wurde und schlicht nicht der Realität entsprach. Das zeigte ihm der Spiegel deutlich.
Hier mache ich eine kleine Unterbrechung und kehre zu uns als Menschen bei der Arbeit im Betrieb, im Büro zurück. Wir hatten oben gesagt, dass Menschen Training auf sich nehmen, um z.B. den Rücken zu stärken und dann auch davon überzeugt sind, dass “es” besser wird. Meine Erfahrung in der Schulung von MitarbeiterInnen zum Thema “gesundes Arbeiten” zeigt mir allerdings, dass auch diese Menschen wieder krumm und angespannt an ihrem Schreibtisch sitzen und weit von einer natürlich aufgerichteten Haltung entfernt sind. D.h. sie fühlen gar nicht (sensorisch, nicht emotional), was sie am Schreibtisch mit sich machen und wieder in eine ungünstige Haltung kommen.
Zurück zu Herrn Alexander. Er hielt seinen Plan für sinnvoll. Er konnte klar denken. Er dachte, dass wenn er die richtige Entscheidung trifft (Kopf nach vorne und oben), wird er sie auch umsetzen. Denn schließlich fühlte es sich richtig an und er war ein vernünftig denkender Mann.
Da der Spiegel ihm aber eindeutig zeigte, dass er nicht umsetzte, was er entschieden hatte, sah er sich gezwungen, seine Strategie zu ändern. Und das bedeutete, sich von seinem sensorischen Fühlen als Maßstab zu verabschieden, weil er dies falsch eingeschätzt hatte. Statt dessen sagte er sich: ich muß meinem Verstand mehr vertrauen als meinem Gefühl. In seinem Buch über seine Geschichte “Der Gebrauch des Selbst” klingt das so: “Mein Vertrauen in die Vernunftsvorgänge, die mich sicher ans ´Ziel` bringen konnten, mußte ungeteilt sein und nicht so halbherzig, dass es auch noch der Rückversicherung durch ein ´richtiges Gefühl` bedurfte.” (Karger 2001, S. 23)
Und das war jetzt starker Tobak. Denn wie ich aus eigener Erfahrung weiß, kommt zu dem merkwürdig falschen sensorischen Gefühl, wenn ich etwas auf neue Art tue, noch die viel stärker merkwürdige Emotion von “das bin nicht ich” dazu. Meine Definition von mir selbst passt nicht mehr – denn die funktioniert auch über die Emotion.
Und das ist Alexanders einmalige Schulung in unserer Selbstwirksamkeit: wir lernen, unserem vernünftigen Denken, unserem neuen Plan zu vertrauen und nicht mehr dem Glauben, wie es sich anfühlen müßte.
Wir können beginnen, wieder auf die Selbstheilungsprozesse des Organismus zu vertrauen, weil unser Verstand uns sagt, wie wir ihnen aus dem Weg gehen können mit unseren (schlechten) Gewohnheiten. Zugegeben: ein wenig Schulung braucht es darin. Aber Neugierde reicht. Denn der Mensch ist mit Neugier und Forschergeist geboren. Wir sollten ihn pflegen und uns zunutze machen. Finden Sie also für Ihren Betrieb (oder sich selbst) eine/n Trainer/in, die Ihre MitarbeiterInnen auf der Basis von Alexanders Entdeckungen schult. Sie dürfen sicher sein, es wird sich auszahlen. Lesen Sie auch meinen Beitrag “So macht Sitzen nicht krank” auf S. 000, in dem Sie mehr über die Alexander-Technik und eine wissenschaftliche Studie dazu erfahren.
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